Vorläufig unbegreiflich
12. Juni 2022 (Trinitatis)
Röm 11, 23-36
12. Juni 2022 (Trinitatis)
Röm 11, 23-36
Lesung: Jes 6, 1-7
Textlesung
Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!
Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!
Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? (Jesaja 40,13)
Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm vergelten müsste«? (Hiob 41,3)
Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.
Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!
Liebe Schwestern und Brüder, haben sie diesen Satz auch schon einmal gehört oder selbst gesagt oder zumindest gedacht?
Ich denke, Ihnen fallen selbst genügend menschliche Lebenswege ein, wo sie im Stillen gedacht haben: warum mutet Gott diesen Menschen das zu? Menschen, die viel zu früh gehen müssen. Menschen, die über ihre Kräfte aufgeladen bekommen. Wir lesen sie nicht nur in der Zeitung. Sie passieren auch ganz nah bei uns.
Wie unbegreiflich sind die Wege, die manche Völker gehen müssen. Jemen, Ukraine. Wir unbegreiflich, Gott! Völker, die immer nur hin- und hergeschubst werden.
Je mehr wir daran glauben, dass nicht ein blindes Schicksal uns regiert, sondern ein gütiger Vater im Himmel, desto mehr schmerzt es uns, dass manches so unerklärbar bleibt. Der Ungläubige sagt: es gibt keinen Gott und keinen Sinn. Der Herzlose sagt: sind eben selber schuld. Wer aber von Gottes Güte erfüllt ist, dem tut es jedes Mal erneut weh, wenn Leid das Leben von Menschen überschattet, Leben nicht zur Entfaltung kommt oder Lebendigkeit weicht.
1. Israel
Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!
Dies ruft Paulus aus, nachdem er drei Kapitel lang über das Schicksal der Juden als Gottes Heiligen Volk nachgedacht hat. Warum nehmen sie Jesus, die fleischgewordene Liebe Gottes, nicht begeistert auf? Paulus ist ja selbst Jude und es will ihm einfach nicht in den Kopf, dass ein Großteil des Volkes verschlossen bleibt für das Evangelium von Jesus Christus als dem Erlöser Israels.
Hören sie einmal seinen Schmerz: (Kap 11)
Ich bin tieftraurig und es quält mich unablässig, wenn ich an meine Brüder und Schwestern denke, die Menschen aus meinem Volk. Wenn es möglich wäre, würde ich es auf mich nehmen, selbst an ihrer Stelle verflucht und für immer von Christus getrennt zu sein. Sie sind doch Israel, das von Gott erwählte Volk. Ihnen gehört das Vorrecht, Kinder Gottes zu sein.
Paulus weiß genau, dass Gott seine Versprechen nicht einfach vergisst. Es ist wohl so, dass Gott seinem Volk selbst das Herz verschlossen hat, sagt Paulus. Aber was soll das für einen Sinn haben? Hat es vielleicht den Sinn, dass erst alle anderen Menschen gerettet werden, Gottes Segenstrom quasi einen Umweg macht, um letztendlich alle Menschen, die Völker der Welt, die Heiden, und das Volk, das Gott als Erstes erwählt hat, die Juden zu vereinen in seiner Liebe?
Vergleich mit Biber: Stau, Wasser verbreitet sich. Hören wir seine Worte: Sie sind Gottes Feinde geworden, damit die Botschaft zu euch kommen konnte. Und er schließt mit dem ersten Satz unseres Predigttextes. Gott hat alle ohne Ausnahme dem Ungehorsam ausgeliefert, weil er sich über alle erbarmen will.
So wandelt sich letztendlich das trauernde Unverständnis des Paulus über den Weg Gottes mit seinem Volk zu einem staunenden Lob der unbegreiflichen Entscheidungen Gottes. Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!
Paulus ist deutlich geworden, dass das letzte Wort die unendliche Güte Gottes haben wird. Auch wenn wir nicht alles begreifen: Er ist doch Urspruch, Ziel und Mitte allen Lebens. In der Worten, die der damaligen griechischen Philosophie entstammen: Von Gott kommt alles, durch Gott lebt alles, zu Gott geht alles.
2. Erbarmen für alle Menschen
Bleiben wir noch ein wenig stehen bei dieser weitgreifenden Erkenntnis von Paulus: Gott will sich über alle Menschen erbarmen. Er will nicht, dass einer oder eine verloren geht.
Was ist dann aber mit denen, die ihn ablehnen? Das ist keine theoretische Frage. Das berührt persönlich. Was ist mit den eigenen Familienmitgliedern, die andere Wege gehen? Kommen letztlich alle Menschen zum Ziel oder gibt es ein gutes Ende für die einen und ein schlechtes für die anderen, wie das Jesus in seinen Gleichnissen öfter vor Augen führt?
Lassen sie uns festhalten aus unserem Predigttext: Gott will sich über alle Menschen erbarmen, er will alle Menschen einschließen in seine Liebe.
Er hat uns dazu einen Weg gezeigt, ein Tor geöffnet: seinen Sohn Jesus Christus. Im Kapitel 10 sagt Paulus: Wenn ihr also mit dem Mund bekennt: »Jesus ist der Herr«, und im Herzen glaubt, dass Gott ihn vom Tod auferweckt hat, werdet ihr gerettet. Dies ist der Weg, den wir kennen. Dazu wollen wir gerne einladen.
Gibt es noch andere Wege? Hoffen und beten dürfen wir, dass viele Menschen diesen Weg finden und dass Gott noch andere Wege hat. Verse wie in unserem Predigttext geben uns Anlass zu dieser Hoffnung. Hoffen dürfen wir dies, um der Menschen willen, die den einen Weg heute nicht finden. Aber wissen und versprechen können wir das nicht. Verkündigen können wir allein von dem Evangelium von Jesus Christus als dem einen Weg, den wir kennen.
Leichtfertig wäre es zu verkünden: Es kommt schon irgendwie gut, egal was jemand glaubt und tun. Denn davon hat uns Gott nichts offenbart. Hartherzig wäre es, unberührt zu bleiben davon, dass Menschen der Einladung, die Jesus ausspricht, nicht folgen. Deshalb beten wir darum, dass alle Menschen Gottes Güte erfahren und laden ein auf den Weg, den wir kennen: Jesus Christus.
3. Ende gut?
Kommen wir noch einmal zurück zu unserem Ausgangspunkt. Wie gehen wir um mit den unbegreiflichen Wegen Gottes? Was denken und sagen wir, wenn menschliche Schicksale uns schwer werden? Einen Hinweis zu dieser großen Frage gibt uns Paulus. Wie kam Paulus dazu, den Satz Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! nicht in den Ton der Resignation, des Fatalismus auszurufen, sondern ihn stattdessen mit einem staunenden Lob zu verbinden: O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! ? Ihm war deutlich, dass Gottes letztes Ziel niemals das Verderben ist, sondern das Erbarmen. Woher weiß er das?
Dieses feste Vertrauen schöpft er aus den Erfahrungen der Menschen, die in der Thora und den Schriften überliefert sind, aus den Versprechen, die die Propheten in Gottes Namen aussprechen Diese Gewissheit schöpft er aus seinem eigenen Erleben, aus seinem eigenen Lebensweg. Paulus erkennt das Unbegreifliche als Vorläufiges, als eine Durchgangsstation auf dem Weg zum Ziel. Das Ziel: Gottes Erbarmen für alle Menschen.
Der heutige Predigttext will uns einladen auf das ewige Erbarmen Gottes zu vertrauen, … auch wenn die Erfahrungen manchmal eine andere Sprache zu sprechen scheinen. Dieses Vertrauen nährt sich von den Glaubensgeschichten, die uns die Bibel und unsere Mütter und Väter und Geschwister im Glauben erzählen, es wächst aus eigenen Ahnen der Größe des ewigen Gottes, gerade wenn wir an unsere eigenen Grenzen stoßen und merken, wie Gott mit unseren Grenzen umgeht.
Schluss
Wir feiern heute den Sonntag Trinitatis, Sonntag der Dreieinheit Gottes. Die evangelische Kirche hat diesem Sonntag nicht deshalb solch einen hohen Stellenwert im Kirchenjahr gegeben, weil sich dort so schön spekulieren ließe über das Wesen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Sicher ist Zahl drei eine besondere Zahl und kehrt häufig wieder in der Bibel, auch mehrfach in unserem Predigttext. Es geht an diesem Sonntag aber nicht ums spekulieren, sondern um die unbegreifliche Größe des ewigen Gottes, die sich unserem Verstehen entzieht und dessen Güte sich uns zugleich zuwendet, zurechtbringend, herausfordernd und liebevoll leitend durch Höhen und Tiefen.
Diese liebevolle Leitung durch Höhen und Tiefen hat auch die Brüdergemeine Herrnhut, die erste Gemeinde der neuen Brüder-Unität, in 300 Jahren erlebt. Heute und in der kommenden Woche wird dies in Herrnhut groß gefeiert, in dem Kirchensaal dort, der in neuem Glanz erstrahlt.
O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit!
Amen
Christoph Huss