Wenn nichts mehr richtig ist
20.03.2021 (Okuli),
1. Kön 19, 1-13 a
20.03.2021 (Okuli),
1. Kön 19, 1-13 a
Liebe Schwestern und Brüder,
unter meinen Taschen befindet sich noch eine aus meiner Studentenzeit. Der Aufkleber „Ohne Rüstung leben“ ist schon etwas verkratzt. Wie die Überzeugung vielen Menschen in der Kirche, dass Frieden nur ohne Waffen hergestellt werden kann, Kratzer bekommen hat.
War es richtig, dass die Synode der Brüder-Unität in jenen Jahren beschloss, dass der Zivildienst ein deutlicheres Friedenszeichen ist als der Dienst mit der Waffe? Haben wir es uns nicht zu einfach gemacht? Haben nicht der islamistische Terror, die ständigen Kriege in entfernten Regionen und nun der brutale Überfall auf die Ukraine gezeigt, dass wir nicht in eine Welt leben, die ganz auf Waffen verzichten kann?
Kann es sein, dass etwas, was wir mit großem Eifer vertreten haben, was wir für Gottes Weg hielten, dann doch irgendwie nicht richtig ist?
Es werden in der Kirche verschiedene Sichtweisen einer Friedensethik diskutiert. Mehr dazu:
Der heutige Predigttext steht in 1. Kön 19, 1-13 a. Er berichtet von dem Propheten Elia. Er ist ein Prophet des HERRN, ein Prophet des EWIGEN. Israel nennt Gott nie bei dem Namen mit den vier Buchstaben, sondern umschreibt ihn als den EWIGEN oder als ADONAI.
Die Lutherübersetzung gibt den Gottesnamen mit HERR wieder. Elia ist auf der Flucht vom Norden des Landes ganz in den Süden, in die Wüste. Zuvor hatte es auf Berg Karmel einen großen Wettstreit gegeben zwischen Elia und den Propheten von Baal und Aschera. Baal und Aschera waren Fruchtbarkeitsgottheiten in Kanaan. Die Frau des damaligen Königs Ahab von Israel, die Isebel, war eine Anhängerin dieser beiden, hatte deren Verehrung im Land durchgesetzt und viele Propheten des EWIGEN töten lassen.
Allein Elia war übriggeblieben. Nun quälte eine große Trockenheit das Land und man wusste nicht, zu welcher göttlichen Instanz man sich wenden sollte in der Not. Den Opferwettstreit auf dem Karmel zwischen Elia und den 450 Priestern von Baal sollte es entscheiden. Elia gewann. Sein dargebrachtes Opfer wurde durch das Feuer des EWIGEN, das vom Himmel fiel, entzündet. Das Volk ergriff daraufhin auf Elias Befehl die Baalspriester. Er selbst tötete sie alle an dem Bach Kischon. Dann kam der Regen und rettete das Land.
Hier setzt der Predigttext ein.
1 Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte.
2 Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast!
3 Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort.
4 Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.
5 Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder.
Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss!
6 Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.
7 Und der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.
8 Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.
9 Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst du hier, Elia?
10 Er sprach: Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; denn Israel hat deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet und ich bin allein übriggeblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen.
11 Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR wird vorübergehen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben.
12 Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.
13 Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle.
Es war doch richtig, was Elia getan hat, oder? Elia hat geeifert, wie er selbst sagt, hat gekämpft. Welche Kraft, als er sich auf dem Karmel den Baalspriestern gegenüberstellt, ganz im Vertrauen, dass der ewige Gott sich als lebendig erweisen werde.
Eigentlich war ja Baal nach der Tradition Kanaans der für Regen zuständige Wettergott, zuständig für die Fruchtbarkeit des Landes. Die Leute wollten wissen: kann der HERR auch Regen machen? Und dann geschah es: der ganze Zirkus, den die Baalspriester veranstalteten, führte zu nichts, aber als Elia den EWIGEN anrief, verzehrte sein Feuer das Opfer, Der HERR erwies sich als mächtig und die Leute verstanden es.
Dann richtet Elia dieses Blutbad an. Der Bach Kidron wird von dem Blut von 450 Priestern des Baal und der Aschera getränkt. Das verstehen wir schon nicht mehr so gut. Dann droht die Königin Isebel dem Elia, sie werde mit ihm tun, wie er es mit ihren Priestern getan habe. Elia bekommt es mit der Angst zu tun, flieht durch das ganze Land in die Wüste und bricht zusammen. Wörtlich: Elia setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.
Was Elia hier erlebt, ist schwer zu begreifen, aber es geschieht so oft. Es war richtig, der Eifer auf dem Karmel, es ging um Gottes Sache. Und doch stimmt es nun irgendwie auch nicht. Zu viel Gewalt, Spott und Blut. … ich bin nicht besser als meine Väter.
Hier kann einer nicht weiter. Wie kann das Richtige nicht recht sein. Das bringt einen ganz schön durcheinander. Aber es ist manchmal so.
Wir erleben gerade, dass die Richtigkeiten von gestern nicht mehr stimmen, wir erleben, wie der ukrainische Präsident mit seinem Mahnwort im deutschen Bundestag Hilflosigkeit auslöst. Wie kann man diesem skrupellos überfallenden Land Waffenhilfe verweigern! Und auf der anderen Seite: wie wollte man einen noch viel größeren Krieg riskieren, indem man dort mit Nato-Waffen aktiv eingreift? Das eine ist nicht gut
und das andere auch nicht. Es bleibt nur die Diplomatie, die humanitäre Hilfe und die Flüchtenden aufzufangen.
Es gibt Zeiten im Leben, zu denen nicht mehr sicher ist, in denen was richtig war, nicht mehr gut ist und nicht mehr trägt. Die Großen des Glaubens haben es erlebt, wir vielleicht auch. Das sind mühsame Zeiten, weil wir eher die Klarheit, das Einfache und Deutliche lieben. Wenn wir aber wissen, dass auch die Unklarheit zum Leben und zum Glauben gehören können, können wir es besser aushalten, das Mögliche tun, bis der Weg sich wieder öffnet.
Es geht für Elia ganz elementar weiter. Essen, trinken, schlafen, noch mal essen und trinken. Gott schickt Boten. Andere als Elia übernehmen für einen Moment die Initiative. Und dann 40 Tage durch die Wüste, die Zeit der Besinnung, die Zeit vor der Begegnung. Auf dem heiligen Berg kann Elia mit Gott reden. Er wird ihm gegenwärtig, nun nicht mehr in Donner und Feuer, sondern in der Stille. Später wird Gott seinen Blick öffnen und weiten für den Weg, der vor ihm liegt.
Es ist eine Zeit, in der alte Aufkleber Kratzer bekommen und es noch nicht dran ist, neue zu drucken. Es ist wohl nicht die Zeit der großen Gewissheiten. Es ist eher eine Zeit des Fragens und Suchens, des Gebetes, der Stille vor Gott und der praktischen Hilfe, wo immer sie möglich ist. Gott helfe den Notleidenden und uns durch diese Zeiten.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu!
Amen
Christoph Huss